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PHILIP-LORCA DICORCIA | SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT

DIE SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT ZEIGT EINE GROSSE AUSSTELLUNG MIT ARBEITEN DES US-AMERIKANISCHEN FOTOGRAFEN
PHILIP-LORCA DICORCIA  
PHOTOGRAPHS 1975‒2012
20. Juni – 8. September 2013 
Eröffnung: Mittwoch 19. Juni 19:00 Uhr

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Philip-Lorca diCorcia, Ike Cole, 38 years old, Los Angeles, California, $25, 1990–92, © Courtesy of the artist and David Zwirner, New York/London

Erstmals in Europa wird die Schirn Kunsthalle Frankfurt ab dem 20. Juni 2013 das Œuvre des US- amerikanischen Fotografen Philip-Lorca diCorcia (*1951) in einer Überblicksausstellung präsentieren. DiCorcia gehört zu den bedeutendsten und einflussreichsten Fotografen unserer Zeit. Seine Bilder schweben zwischen alltäglichen Momenten und detailreich inszenierten Arrangements. Die realitätsnahe Wiedergabe und der scheinbar dokumentarische Blick werden in den Arbeiten des in New York lebenden Künstlers von einer höchst aufwendigen Bildregie unterwandert. Die Frage nach der Möglichkeit der Abbildung von Realität ist eines der Hauptthemen diCorcias und verbindet die überwiegend in Serien entstandenen Fotografien miteinander. So nahm er für Hustlers (1990–1992) männliche Prostituierte in minutiös inszenierten Settings auf, während er in seiner wohl bekanntesten Serie Heads (2000–2001) Passanten völlig ahnungslos in einer Alltagssekunde festhielt. Neben den Werkgruppen Streetwork (1993–1999), Lucky 13 (2004) und A Storybook Life (1975–1999) wird die in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler konzipierte Ausstellung in der Schirn auch erstmals Arbeiten des momentan in Entstehung begriffenen Projekts East of Eden (2008‒) der Öffentlichkeit präsentieren.
Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt: „Philip-Lorca diCorcia gehört zu den absoluten Stars der amerikanischen Fotoszene. Wir sind stolz, dem deutschen Publikum erstmals seine Arbeiten in dieser Fülle und Intensität präsentieren zu können. DiCorcias Arbeiten zeichnen sich durch eine ikonografische Bildqualität aus, die dem Medium Fotografie eine ganz eigene Bedeutung verleiht.“
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Philip-Lorca diCorcia, Head #23, 2000, Art Collection Deutsche Börse, © Courtesy of the artist

„Philip-Lorca diCorcias Fotografien bewegen sich zwischen Schnappschüssen und Kompositionen mit nahezu barocker Theatralik“, so die Kuratorin der Ausstellung Katharina Dohm. „Er zeigt die Figur des Menschen auf eine fundamentale Art und Weise, die für den Betrachter zu einem unmittelbaren Erlebnis wird. Die Zusammenstellung in der Schirn bietet die einzigartige Chance, in die geheimnisvollen Welten dieses wichtigen Künstlers der Gegenwart einzutauchen und seinen Blick auf gesellschaftliche Realitäten kennenzulernen.“
Philip-Lorca diCorcia wurde 1951 in Hartford, Connecticut, geboren. Von 1972 bis 1975 studierte er an der School of the Museum of Fine Arts in Boston, bevor er 1979 an der Yale University den Master of Fine Arts in Fotografie erwarb. Der Fotograf gilt als einer der wichtigsten amerikanischen Künstler seiner Generation. Bereits 1993 richtete das Museum of Modern Art in New York eine erste Einzelausstellung zu diCorcia aus. Es folgten viele meist auf einzelne Serien fokussierte Soloschauen, darunter wichtige Ausstellungen im Institute of Contemporary Art in Boston 2007 und im Los Angeles County Museum of Art 2008. In Europa waren diCorcias Fotografien bisher ausschließlich in ausschnitthaften Einzelpräsentationen oder in Gruppenausstellungen zu sehen.
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Philip-Lorca diCorcia, Wellfleet, 1993, © Courtesy of the artist and David Zwirner, New York/London

Beginnend mit den aktuellsten Werken aus der noch unabgeschlossenen Serie East of Eden führt die insgesamt 124 Arbeiten umfassende Ausstellung durch sechs Werkgruppen zurück zum Anfang: zu A Storybook Life (1975–1999). Die Sammlung von Porträts, Landschaften, Interieurs, Stillleben, Schnappschüssen und Reisefotografien umreißt einen Zeitraum künstlerischen Schaffens von mehr als zwanzig Jahren. Die Zusammenstellung dieser weitreichenden Serie ist nicht streng chronologisch oder einer logischen Narration folgend geordnet. Einzig die Titel der Bilder geben Auskunft über das Entstehungsdatum und den jeweiligen Ort. Dennoch spannt das komplexe Geflecht der spezifischen Bildwelten einen emotional aufgeladenen Erzählbogen.
Für die Serie Hustlers (1990–1992) fotografierte diCorcia männliche Prostituierte rund um den Santa Monica Boulevard in Hollywood. Sowohl Position und Setting als auch die begleitenden Lichtverhältnisse der Protagonisten sind vom Künstler sorgsam inszeniert. Die Titel der jeweiligen Werke verweisen auf Name, Alter und Herkunft der Prostituierten sowie die Summe, mit der sie von diCorcia für das Posieren entlohnt wurden und die sie in der Regel für ihre sexuellen Dienstleistungen erhalten. In Los Angeles, der Traumfabrik Hollywoods, in Szene gesetzt, werden die Männer berührende Darsteller ihrer eigenen verlorenen Träume.
Die Straßen von New York, Tokio, Paris, London, Mexiko City oder Los Angeles sind Schauplatz für diCorcias Serie Streetwork. In den zwischen 1993 und 1999 entstandenen Werken gehen Passanten auf dem Weg nach Hause, zur Arbeit, zum Sport oder zum Einkaufen in die Fotofalle des Künstlers: Nichtsahnend durchschreiten sie das von diCorcia arrangierte Blitzlichtsystem. An einem bestimmten Punkt löst der Fotograf aus. So ergibt sich ein sogenannter „frozen moment“. DiCorcia lässt im Getümmel der Großstadt die Zeit stillstehen und rückt Individuen und Menschengruppen ins Zentrum des Geschehens. Ähnlich wie in seiner Serie Hustlers zählt hier nicht der dokumentarische Charakter des Werkes, diCorica wirft vielmehr die Frage auf, was Realität ist.
Der Künstler verstärkt diese Fokussierung auf den Einzelnen in der darauffolgenden Serie Heads (2000–2001), für die er aus dreitausend Fotos eine Auswahl von insgesamt 17 Köpfen getroffen hat. Der Blick des Betrachters wird auf das Gesicht des Passanten fokussiert, das durch die Beleuchtung und den Bildausschnitt ins Zentrum des Bildes rückt. Der Rest bleibt im schemenhaften Dunkel. Die Individuen – eine junge Frau, ein Tourist, ein Mann mit Anzug und Krawatte – erscheinen sonderbar isoliert, fast einsam. Ihr Blick wirkt entrückt. DiCorcia kehrt das Innere nach Außen und enthebt das Individuum für einen kurzen Moment der Masse. Der Künstler erzeugt eine tiefgreifende Intimität. DiCorcia geht mit Streetwork und Heads einen ganz eigenen Weg der Straßenfotografie, die in Amerika mit Walker Evans, Robert Frank oder Diane Arbus auf eine lange Tradition zurückblickt. Der Künstler erfindet den scheinbar zufälligen Augenblick neu und transferiert ihn in das aktuelle Zeitgeschehen.
Die durch dramatische Lichtgebung erzeugte malerische Qualität von diCorcias Arbeiten wird besonders in der 2004 entstandenen Serie Lucky 13 deutlich. Der Künstler hält die athletischen, nackten Körper von Stangentänzerinnen (Poledancern) mitten in einer fallenden Bewegung im Bild fest. Durch die starke Beleuchtung der Frauen und den fast schwarzen Hintergrund erhalten sie eine skulpturale Plastizität und scheinen wie in Stein gemeißelt. Obwohl der Serientitel Lucky 13 – eine amerikanische Redensart, um Unglück abzuwehren – auf das zwielichtige Milieu von Stripbars verweist, strebt der Künstler weder eine Sozialstudie an, noch zelebriert er Voyeurismus. Vielmehr werden die Darstellerinnen zu Metaphern von Vergänglichkeit, Glück oder dem Moment des Absturzes. Das Bild des „gefallenen Engels“ drängt sich auf.
Ein religiöser Ansatzpunkt findet sich auch in den jüngsten Werken diCorcias, der in Entstehung begriffenen Serie East of Eden – die im Katalog der Ausstellung erstmals publiziert wird. Neben der biblischen Inspiration, die der Titel unterstreicht, lässt sich darüber hinaus ein literarischer Konnex zum gleichnamigen Roman von John Steinbeck herstellen. Dieser erzählt in Anlehnung an den biblischen Bruderkrieg zwischen Kain und Abel eine amerikanische Familiensaga von den Jahren des Bürgerkriegs bis zum Ersten Weltkrieg. DiCorcia bedient sich in seiner Motivwahl ikonografischer Bildwelten: ein Apfelbaum in verlockender Pracht, ein blindes Ehepaar am Esstisch, eine in unendliche Weiten führende Landschaftsaufnahme.
Intensiv beschäftigt sich DiCorcia in seinem Werk mit dem Motiv der Figur. Seine verdichteten Kompositionen zeichnen sich durch einen Nicht-Dialog von Mensch und Umgebung beziehungsweise einzelner Protagonisten miteinander aus. Die in den meisten Serien in kompositionellen Variationen festgehaltenen Motive weisen malerische Qualitäten auf. Subtil konzipiert und auf eine komplexe Lichtregie zurückgreifend manifestieren die Bildwelten des Amerikaners gesellschaftliche Realitäten in einer nahezu poetischen Weise. Die emotional und narrativ aufgeladenen Werke sind komplexe Geflechte ikonografischer Andeutungen und Abbildungen vor allem der amerikanischen Gegenwartsgesellschaft.
Die von der Schirn Kunsthalle Frankfurt konzipierte Ausstellung „Philip-Lorca diCorcia“ wird im Anschluss im De Pont Museum of Contemporary Art in Tilburg in den Niederlanden zu sehen sein (5. Oktober 2013 bis 19. Januar 2014).
KATALOG: Philip-Lorca diCorcia. Herausgegeben von Katharina Dohm, Max Hollein und Hendrik Driessen. Vorwort von Max Hollein und Hendrik Driessen, Einführung von Katharina Dohm, mit einem Essay von Geoff Dyer sowie einem von Christoph Ribbat geführten Interview mit dem Künstler. Englisch/deutsch, 208 Seiten, 124 Abbildungen, 29 × 21 cm, Gestaltung: box studios, New York; Kerber Verlag, Bielefeld 2013, ISBN 978-3-86678-835-0, Preis: 27,80 € (Schirn), ca. 36,00 € (Buchhandel).

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